Tim Gumbrecht-Rüstow // Autor

Auszug aus der Kurzgeschichte
- Jedermanns Reise -

Golden erstrahlte die Fassade des gerade fertiggestellten Hauptsitzes des führenden Mobilfunkanbieters im Herzen Berlins.

 

Eigens zur Eröffnung des 30-stöckigen Prestigebaus wurde eine neue Firmenfarbe designt. In eben diesem Türkis war die riesige Karte der Bundesrepublik der absolute Blickfang in der Eingangshalle. Doch ein kleiner schwarzer Fleck am unteren Rand inmitten des Bayerischen Waldes, verbildlichte, was den endgültigen Sieg der zivilisierten Welt noch verhinderte. Er symbolisierte den einzigen Ort an dem der Zugang zum mobilen Internet noch nicht zur Verfügung stand.

 

Um diesen Schandfleck zeitnah zu beseitigen und als erster Anbieter die vollständige Netzabdeckung der Öffentlichkeit präsentieren zu können, wurde eine Taskforce ins Leben gerufen. Nach wochenlangen Überlegungen hatten sie endlich den perfekten Plan, dieses Ereignis medienwirksam auszuschlachten.

 

Ein firmeninterner Wettbewerb sollte es sein. Sie suchten nach einem verdienten Mitarbeiter, der drei Tage lang durch die Wildnis marschiert, nur mit dem Ziel, die letzte Lücke im Netz symbolisch zu schließen. Irgendwo im Nirgendwo sollte der Auserwählte den ersten Spatenstich des allerletzten Funkmasten setzen und diesen triumphalen Moment für die Nachwelt festhalten.

 

Alle Mitarbeiter waren aufgerufen, sich für das Abenteuer zu bewerben, um das Gesicht dieses denkwürdigen Erfolges zu werden. Unzählige Bewerbungen quer durch die Belegschaft gingen ein und schließlich, am Tag der Eröffnung, wurde die Entscheidung verkündet.

 

Der Platz vor dem protzigen Gebäude füllte sich mit geladenen Medienvertretern. Gesättigt vom luxuriösen Buffet wurden sie vorbei an der Champagnerausgabe in das Foyer getrieben. Aus den Lautsprechern ertönte die Firmenhymne und eine überdimensionierte goldene Schiebetür öffnete sich.

Angestellte des Sicherheitsdienstes in schwarzen Anzügen geleiteten die versammelte Führungsetage auf die Bühne, angeführt vom Geschäftsführer Bernd Jedermann der triumphierend die Faust gen Himmel streckte.

 

Es dauerte etwas, bis sich der Vorstand im Halbkreis hinter dem Podium formiert hatte. Als die Musik verstummte, standen alle auf ihrem angedachten Platz und Bernd Jedermann bezog seine Position am Rednerpult. Erst jetzt senkte er die Siegesfaust und war bereit für die offizielle Verkündung des Gewinners.

 

Er begann seine Rede und hangelte sich durch die vorgegebenen Schlagwörter. Garniert mit geschickt gewählten Superlativen war es fast 30 Minuten später endlich soweit.

 

»Ihr habt es uns wirklich nicht leicht gemacht und eines vorab, jeder Einzelne von euch hätte diesen Sieg verdient. Es war unsere Aufgabe, den einen würdigen Repräsentanten herauszufiltern. Wir suchten nach einer Person, die immer etwas mehr gibt. Jemanden, der vorangeht und das Unternehmen mit jeder Faser seines Körpers lebt.«

 

Effekthaschend mit ausgestrecktem Zeigefinger fixierte er das Objektiv der nächstgelegenen Kamera. Via Live-Stream in alle Büros, richtete er seine folgenden Worte direkt an die gesamte Belegschaft.

 

»Nach langen Überlegungen haben wir ihn gefunden und es ist tatsächlich einer von euch, sozusagen unser perfekter Jedermann. Begrüßt mit mir den Sieger der Ausschreibung und zukünftigen Leiter der Operation Lückenlos. Einen herzlichen Applaus für den Assistenten der Geschäftsleitung und zufällig mein Enkel, Herr Torben Jedermann!«

 

Die goldene Schiebetür öffnete sich erneut. Den Handrücken zum Publikum gerichtet schwenkte Torben fast königlich seinen Arm und stolzierte auf die Bühne. Sichtlich beschämt über die Inszenierung folgte ihm seine persönliche Assistentin Lydia, bemüht, ihr Lächeln so authentisch wie möglich wirken zu lassen.

 

Torben schüttelte seinem Opa kurz die Hand und übernahm dessen Platz hinter dem Rednerpult. Mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht begann er direkt seine Ansprache.

 

»Es ist für mich eine unfassbare Ehre und Freude gleichermaßen, stellvertretend für meine lieben Kollegen und im Namen dieser fantastischen Firma, den letzten Schritt zu diesem denkwürdigen Triumph gehen zu dürfen. Ich danke allen Mitbewerbern für ihre Teilnahme und den damit bewiesenen Mut. Vor allem aber danke ich unserem Vorstand für das entgegengebrachte Vertrauen und es erfüllt mich mit Stolz, dass ich euer Plan A sein darf!«

 

Exakt in diesem Moment ertönte die Firmenhymne ein zweites Mal und untermalte angemessen den Abgang des Auserwählten. Torben verließ den Eingangsbereich, umarmt von seinem Opa und umringt vom schulterklopfenden Vorstand. Lydia, die Assistentin des Assistenten der Geschäftsleitung, versuchte währenddessen so gut wie nur irgend möglich in der Masse zu verschwinden.

 

Es waren noch zwei Wochen bis zum geplanten Event. Wenig Zeit für Lydia, die neben Torbens täglichem Newsletter über den aktuellen Stand der Dinge auch noch die Ausrüstung des Überlebenskünstlers zusammenstellen durfte. Kein Risiko und nur das Beste sollte es sein, lautete die klare Firmenvorgabe. Doch auch, wenn Sie damit nur das Firmenkonto belastete, tat es ihr weh, das Doppelte ihres Monatsgehaltes ausgegeben zu haben, um Torbens Überleben zu sichern.

 

Dann war es endlich soweit. In einem kleinen Dorf am Rande des Bayerischen Waldes wurde eigens ein Bierzelt errichtet. Umringt von Reportern und Schaulustigen startete Torbens Reise. Musikalisch begleitet von der örtlichen Marschkapelle, schulterte er seinen bestens ausgestatteten Rucksack und marschierte los.

 

Die Musik hinter ihm wurde mit jedem Schritt in den Wald hinein leiser. Nach einigen Hundert Metern verwandelte die Last seiner Ausrüstung sein selbstgefälliges Dauergrinsen in einen angestrengten, fast schon verzweifelten Gesichtsausdruck.

 

Er schleppte sich und sein Wohlstandsbäuchlein noch etwas weiter, bis von der zurückgebliebenen Party nichts mehr zu hören war und griff nach seinem Mobiltelefon.

Kurzwahl, »Opa Bernd« und es klingelte…

 

»Was willst du denn jetzt schon? Du bist doch gerade erst los oder hast du etwa deinen Teddybären vergessen?«, erkundigte sich Opa Bernd voller Sorge.

 

»Nein Opa, aber ich kann jetzt schon nicht mehr. Der verdammte Rucksack ist viel zu schwer und ich weiß nicht einmal, wie ich das Zelt aufbauen soll«, antwortete Torben kleinlaut.

 

»Jetzt pass mal auf, du kleiner Scheißer! Du hast drei Tage für eine Strecke die Oma jeden Morgen vor dem Frühstück zurücklegt. Ich habe hier alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dir diese einmalige Chance zu verschaffen und dich in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu kicken. Also reiß dich gefälligst zusammen!

Für dich gibt es nur zwei Wege aus diesem Dschungel. Mit einem Video deines Spatenstichs oder vielleicht noch von einem Bären zerfetzt in einem Leichensack! Hast du mich verstanden!?«, machte ihm Opa Bernd unmissverständlich klar und legte auf…

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